Tagebuch der totalitären Historie, Verehrung von John Lennon oder gestattete Streetart-Fläche der jungen Generation? Die Kult-Gartenmauer, die sog. Lennon-Mauer unweit der Karlsbrücke ist Symbol für unterschiedlichste Menschengruppen, zieht beständig Aufmerksamkeit an und lebt ihr eigenes Leben im Verlauf der Jahrzehnte.
Mauer gegen den Kommunismus
Die unauffällige Mauer im Zentrum der Kleinseite wurde schon in den siebzieger Jahren des 20. Jh. zum spontanen Notizbuch der Klagen der hiesigen Einwohner. In Tschechien herrschte tiefste Normalisierung und die Kommunisten löschten schnell jeglichen Vorwurf der Unfreiheit. Allerdings ließen die Leute die Mauer niemals lange weiß und erneuerten die Innschriften beständig. Während der sowjetischen Okkupation gehörte die Lennon-Mauer zu einer der vielen gewaltlosen Formen freier Meinungsäußerung und des Kampfes gegen das Unterdrückerregime.
Wie wurde die „Klagemauer“ zur „Lennon-Mauer“
Zuerst wurde die Mauer als „Klagemauer“ bezeichnet. Auf ihr tauchten Liebesgedichte und regimekritische Aufrufe auf. Nach dem Tod John Lennons im Dezember 1980 erwies ein unbekannter Autor seinem Andenken hier Ehre und trat damit eine Lawine weiterer, dem weltbekannten Künstler gewidmeter Botschaften los. Außer Auszügen aus Beatles-Songs wurden hier Kerzen angezündet und Blumen niedergelegt. Die Kunde von der Lennon-Mauer verbreitete sich schnell unter den Pragern und gelangte mittels Exil-Schriften auch über die Grenzen hinaus. Alljährlich trafen sich hier Fans des Musikers, um sein Gedenken zu ehren und auf das totalitäre Unrecht hinzuweisen.
Fläche für legale Graffiti
Nach der Samtenen Revolution 1989 fiel die Mauer wieder an die ursprünglichen Eigentümer des Areals – den Orden der Malteserritter. Diese ließen die Mauer mit einem Portrait John Lennons verschönen und ließen ihr den Charakter einer legalen Fläche für öffentliche Meinungsäußerungen. Das neue Bildnis verschwand schnell unter Schichten von Nachrichten, die am häufigsten Frieden, Liebe und weitere, Lennon nahe, freigeistige Ideen zitierten. Aus der Mauer wurde eine bunte Attraktion, die bis heute Touristen aus der ganzen Welt anlockt. Leider tauchen anstelle tiefsinniger Zitate immer mehr „gewöhnliche“ Notizen aller Art auf.
Übermalen der Mauer: Vandalismus oder umgekehrtes Sprayertum?
Im Jahr 2014 in der Nacht vor dem 25. Jahrestag des Staatsfeiertages 17. November übermalte eine Streetart-Gruppierung von Studenten die Lennon-Mauer weiß. Auf der Mauer prunkte eine einzige Aufschrift – WALL IS OVER! Die Anspielung auf die Lennon-Plakate „War ist over!“ aus den 70-er Jahren sollte auf den Jahrestag des Falls des Eisernen Vorhangs hinweisen. Laut dem Vertreter der Sprayer war außerdem beabsichtigt, Raum für neue Nachrichten auf der legalen Streetart-Fläche, was die Lennon-Mauer nun mal ist, zu schaffen.
Die ersten Reaktionen waren genau entgegengesetzt. Touristen suchten vergebens die bunte Mauer von den Fotografien in Reiseführern, Medien referierten über Vandalismus und der Eigentümer der Mauer stellte Strafanzeige gegen Unbekannt. Es reichten allerdings ein paar Stunden, damit die weiße Mauer sich wieder mit neuen Beiträgen füllte. Die Studenten bekannten sich zu der Tat und entschuldigten sich dafür. Die Anzeige, die höchstens als Ordnungswidrigkeit untersucht worden wäre, wurde zurückgezogen.
Wall is not over!
Die Mauer lebt weiter, wie ein britischer Tourist auf den Seiten TripAdvisor treffend kommentierte: „Auf den ersten Blick sieht die Lennon-Mauer einfach wie eine mit Graffiti bedeckte Mauer aus, aber für die Tschechen stellt sie wichtige Geschichte dar, teils als Denkmal John Lennons und seiner Friedensgedanken, aber auch als Symbol der freien Meinungsäußerung und der Rebellion der Jugend. Wahrscheinlich bedeckten früher die Mauer antikommunistische Graffiti, nun sind es eher Frieden und Liebe betreffende Nachrichten.“
Wo befindet sich die Lennon-Mauer?
Die Mauer voller Notizen, Klagen und Wünsche bildet die Außenseite der Mauer des Maltesergartens auf dem Platz Velkopřevorské náměstí. Hierher sind es nur einige Minuten Weg von Karlsbrücke auf der Kleinseite und zwar aus der Straße Mostecká ulice bei der Karlsbrücke durch die Straße Lázeňská ulice. Die nächstgelegenste Straßenbahnhaltestelle ist Malostranské náměstí auf dem Kleinseitner Ring.